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© Eva-Maria Repolusk |
Ijoma Alexander Mangold ist Literaturkritiker. Im Rahmen des Literaturfestes Salzburg stellte er die „Frauen:Welten“ von Anna Katharina Hahn, Ilma Rakusa, Annika Reich und Kathrin Röggla vor. Beim Frühstück im arthotel Blaue Gans gab er Einblick in seine Berufswelt.
GÄNSEHAUT: Herr Mangold, wie sehr müssen Sie sich mit Kritik zurückhalten, wenn Sie moderieren?
Ijoma A. Mangold: Das ist, glaube ich, wirklich das Handwerk des Moderators, ein völlig offensichtlicher, ungeschriebener Vertrag: Wenn man moderiert, ist man dafür da, die Autoren gut zur Geltung zu bringen, sie so zum Reden zu bringen, dass sich das Publikum etwas unter der intellektuellen Physiognomie vorstellen kann. Da ist man nicht im Amt des Kritikers, das wäre schon ungerecht. Man moderiert zwar nicht einfach alles seelenlos rauf und runter, sondern eben nach Möglichkeit Autoren, von denen man weiß, dass man sie schätzt, so dass es dann faktisch nicht zu einem Konflikt kommt, zwischen dem, was man selber von einem Werk hält, und dem was man sagen kann. Das es nicht immer ganz so ist, weil man oft schon zu einer Moderation eingeladen wird, wenn das Buch noch gar nicht vorliegt, und man dann feststellt, ach, mit dem Buch kann man nicht so viel anfangen, das ist schon auch so, ist jetzt aber nicht so das riesen Problem. Ich glaube, im ganzen Leben versuchen wir doch, uns immer situationsadäquat zu verhalten, nicht aus Opportunismus, sondern es ist auch Rücksichtnahme und Respekt.
GÄNSEHAUT: Passiert in Ihrer Kritikertätigkeit die Auseinandersetzung mit dem Autor, mit der Autorin, ausschließlich über das Buch, über den Text, um den es dann jeweils geht, oder brauchen Sie die Auseinandersetzung mit der Person, die hinter dem Text steht?
IAM: Also nicht mit der leibhaftigen Person, aber selbstverständlich spielt es eine Rolle, wenn ein Schriftsteller selber als Figur auch schon eine Botschaft ist, mit der man sich auseinandersetzt weil sie selbst ein öffentliches Faktum im kulturellen Bewusstsein ist. Natürlich möchte ich mich auch gerne mit dieser schriftstellerischen Physiognomie, die jetzt über das bloße Werk hinaus geht, auseinandersetzen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass es in den 70er-oder 80er Jahren sehr schwer war, über Truman Capote zu schreiben, ohne nicht ihn auch als Lebensereignis mit in den Blick zu nehmen, weil das eine und das andere enorm ineinander gehen. Ein anderes Beispiel ist Andy Warhol. Da wäre es ja völlig absurd zu sagen, wir schauen uns nur das Werk an, weil natürlich das Leben selber auch schon zum Werk geworden ist.
GÄNSEHAUT: Ist das bei jedem Autor, jeder Autorin der Fall?
IAM: Nein, nein. In der Tat nicht. Es handelt es sich um Literatur. Die neigt, glaube ich, viel weniger dazu, im Rahmen eines generell hohen Niveaus an Narzissmus, wie es bei allen künstlerischen Berufen der Fall ist, neigt die Literatur weniger zur Ego-Apotheose als zum Beispiel die Kunst. Was aber vielleicht auch ganz einfach damit zu erklären ist, dass in der Kunst mehr Geld ist und insofern mehr Macht, und Macht vermutlich auch das Moment ist, das am Stärksten auf das Ich wirkt.
GÄNSEHAUT: Aber der Autor schreibt ja nicht ins Blaue, er schreibt ja auch in einem System und in einem Bedürfnis, das vielleicht auch ein Bedürfnis nach Macht ist.
IAM: Also, es ist auch hier Sprechakt Willen zur Macht, um mit Nietzsche zu sprechen, warum sollte es jetzt ausgerechnet bei der Literatur nicht der Fall sein, aber es gibt schon ganz unterschiedliche Schriftsteller-Physiognomien, nämlich solche, die in besonderer Weise ihren Schriftstellerdiskurs nutzen, um etwas zu erreichen oder sich zu platzieren, was ich auch gar nicht negativ meine, und von anderen merkt man, die schielen da viel weniger darauf. Ich habe jetzt gerade die Werkausgabe im Haymon-Verlag von Klaus Merz, das ist ein Autor, bei dem wäre es absurd zu sagen, er habe sich ein Leben lang auf den Kopf gestellt, um seinen Willen zur Macht zu realisieren. Nee, da ist jemand einfach ganz bei sich, bei dem, was er für Literatur hält, und dies über Jahrzehnte durch, auch wenn er oft nicht wahrgenommen wurde. Und jetzt kriegt er den Hölderlin-Preis und man ist sehr glücklich, dass dieses außerordentliche Werk so eine Würdigung findet.
GÄNSEHAUT: Wie viele Bücher lesen Sie so, für Ihre berufliche Tätigkeit?
IAM: Wie viel ich lese? Es geht, glaube ich, allen Leuten immer so, egal in welchem Beruf, man hat immer das Gefühl, man liest zu wenig. Die wahren Lektürebedürfnisse, die sind bei mir im Kanon. Viel zu wenig, weil ich viel zu viele Neuerscheinungen lese. Wenn ich also versuche, mein Leseverhalten zu korrigieren oder umzuwandeln, dann würde ich immer gerne die Zeit finden für den Kanon.
GÄNSEHAUT: Aber den Kanon haben Sie ja … gelernt. Den haben Sie ja studiert.
IAM: Ein Literaturstudium ist ja zu kurz. Ja, damals habe ich nur Kanon gelesen, ja, aber es gibt riesige Flächen der Weltliteratur, die ich nicht kenne.
GÄNSEHAUT: Worauf führen Sie diese Sehnsucht nach dem Kanon zurück?
IAM: Also, ich bin da ganz konservativ, ich glaube an den Kanon, an den Reduktionsmechanismus, der das Beste vom Besten herauskristallisiert. Das ist gar keine Frage, dass natürlich 90% dessen, keine Ahnung, 95% dessen, was an Neuerscheinungen, nein, 98% dessen, was als Neuerscheinung rauskommt, in fünf Jahren werden wir uns da gar nicht daran erinnern. Es ist nicht schlimm. So entsteht Literatur, es muss immer die Fülle der Produktion geben und wir können auch in der Gegenwart nicht immer gleich Herausragendes herauspicken, manchmal entdecken wir in zehn Jahren, was das Interessanteste war zur eigenen Zeit.
GÄNSEHAUT: Das heißt, man erkennt den Kanon nicht gleich als solchen?
IAM: Nee, nee. Das erste und einzige Mal, wo ich wirklich dieses Gefühl hatte, der war damals noch nicht so bekannt, wie er jetzt ist, jetzt ist er leider auch gestorben, das war beim ersten Buch, das ich las, die Erzählungen, die bei Hanser erschienen sind, das war Roberto Bolaño. Ein Autor, den in Deutschland keiner groß kennt, ich war aber überzeugt, der schreibt einen Klassiker. Aber sonst … ist es nicht unbedingt so.
GÄNSEHAUT: Was ist es, was ein Werk ausmachen muss, um von der Literaturkritik wahrgenommen zu werden?
IAM: Also, das ist natürlich bei allen Seminaren für Literaturkritik immer die häufig gestellte Frage, was sind die Kriterien, und die Antwort ist auch völlig klar: Die gibt es natürlich nicht. Sondern Kunsturteil ist ein solches, für das man selber die einzelnen Kriterien erfassen muss und versuchen, zu plausibilisieren. Ansonsten gibt es nur die ganzen Hilfskonstruktionen, Stimmigkeit und so etwas.
GÄNSEHAUT: Die Rezensenten müssen einfach viel lesen.
IAM: Ja das schadet ohnehin nie!
GÄNSEHAUT: Viele Autoren sagen, dass sie, um zu ihrem Schreiben zu kommen, das hat auch Frau Rakusa im Gespräch mit Ihnen gesagt, dass sie viel lesen, dieses Lesen brauchen. Ist es jetzt bei Ihnen umgekehrt? Sie müssen viel lesen, haben Sie dadurch das Bedürfnis, viel zu schreiben?
IAM: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.
GÄNSEHAUT: Also, nicht nur beruflich, sondern… sozusagen therapeutisch, weil Ihre eigene Sprache zur Sprache kommen muss?
IAM: Ach so, nee. Also, ein außerberufliches Schreiben kenne ich nicht, aber es kann sich immer auch noch ändern.
GÄNSEHAUT: Wäre das eine Sehnsucht?
IAM: Jetzt nicht im Sinne des belletristischen Schreibens, aber dass man das Format des Zeitungsartikels gerne auch mal hinter sich lässt, weil Sachen zwischen zwei Buchdeckeln doch mit einer anderen Haltbarkeit und auch mit einem anderen, wie sagt man, Herzensblut entstehen und einem selber dann auch irgendwie, also… Sie haben es gerade selber gesagt, es ist schon immer etwas Selbsttherapeutisches. Die Menschen schreiben, alle meine Kollegen schreiben Bücher und es können schlechte Bücher sein und die Unerfolgreichsten, es ist ihnen auch völlig egal. Wichtig ist, es hat sie glücklich gemacht.
GÄNSEHAUT: Das wäre meine Vermutung, dass Sie diesem Glück auch nachgeben wollen.
IAM: Ich möchte das nicht ausschließen.
Text:: KB / Karin Buchauer / Bild Eva-Maria Repolusk / markenredaktion blaue gans salzburg
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